Barbara Wiedemann : „Ein Faible für Tübingen“. Paul Celan in Württemberg.

Barbara Wiedemann : „Ein Faible für Tübingen“. Paul Celan in Württemberg.


Weit gefehlt, wer hinter diesem Buchtitel einen gemütlich-literarischen Spaziergang durch die schwäbische Provinz vermutet. Was die Literaturwissenschaftlerin und Celan-Forscherin Barbara Wiedemann aufschlägt, ist ein ebenso wichtiges wie beschämendes Kapitel der sogenannten literarischen und akademischen Öffentlichkeit im Umgang mit dem Lyriker Paul Celan. Celan, dessen gesamte Familie von den Nazis ermordet wurde, flüchtete 1948 nach Paris und unternahm zwischen den Jahren 1952 und 1970 viele Reisen vor allem in den Südwesten Deutschlands. Hier traf er sich mit Bekannten und Freunden wie Hermann und Hanna Lenz, mit Verlegern und Buchhändlern und Kritikern. Insgesamt zehnmal hat Celan in der Region öffentlich gelesen, das letzte Mal nur wenige Wochen vor seinem Freitod. Wiedemann zeichnet chronologisch die Begegnungen nach, die öffentlichen und privaten Reaktionen auf seine Lesungen. Mit dem, was Gerhard Baumann den „Ethos der Genauigkeit“ nannte, wertet die Tübinger Germanistin umfangreiche Quellen aus, rekonstruiert Celans Wege, die Stadt- und Straßenbilder, befragt Zeitzeugen und macht jenen besonderen „Neigungswinkel“ spürbar, in dem Paul Celans Besuche in Deutschland standen. Gerade vor dem Hintergrund der Goll-Affäre – ein infamer Plagiatsvorwurf, den die Wittwe Ivan Golls gegen Celan über Jahre vorangetrieben hat – erwiesen sich neben offenen antisemitischen Anfeindungen selbst seine Fürsprecher als wenig hilfreich, wenn sie dem Dichter rieten, „nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen“ oder ihm gar „Überempfindlichkeit“ vorwarfen. Von zahlreichen Details, die Wiedemann recherchiert, Gedenktafeln für SS-Schergen, Aussagen, wonach Celan „wie ein Jude um sein Honorar geschachert habe“, wünscht man, sie seien dem Lyriker nicht zu Auge und Ohren gekommen. Das Wispern in Hörsälen jedoch, die Resonanz auf seine als „hermetisch“ missverstandenen Gedichte und das diskrete „Totschweigen“ wird Celan als nachlässig und demütigend wahrgenommen haben müssen. Dass die Anschuldigungen von deutschen Tages- und Wochenzeitungen weitgehend ungeprüft aufgegriffen wurden, war für ihn Zeichen desselben Antisemitismus, der seine Familie im Konzentrationslager gemordet hatte. Barbara Wiedemanns Buch lässt erahnen, was es für Celan bedeutete, deutschen Boden zu betreten und als Dichter an der zur Sprache der Täter gewordenen Muttersprache festzuhalten.

Barbara Wiedemann: „Ein Faible für Tübingen“. Paul Celan in Würtemberg. Deutschland und Paul Celan. Klöpfer & Meyer Verlag, 2013, 292 S. geb. 25,- EUR.

 

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