Kerstin Decker : Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet

Kerstin Decker : Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet


Man muss kein Wagnerianer sein, nicht mal ein Hundenarr, um das Buch von Kerstin Decker auf Anhieb zu lieben. Sogar als Hundehasser wird man bei der Lektüre nachdenklich und erwägt, ob man sein Verhältnis zu den Vierbeinern – insbesondere zu Neufundländern – nicht von Grund auf überdenken sollte. Ohne seine Hunde, so erfahren wir, wäre aus Richard Wagner nicht der Jahrhundertkomponist geworden, der er war. Er hatte eine Neufundländerseele. Wie ein Rudel von Hundegeistern wechseln Robber, Peps, Fips und Pohl ihre Besitzer und folgen ihrem Meister von Riga, Paris, Dresden, Tribschen bis Bayreuth, auf Schritt und Tritt. Oder folgt Wagner ihnen? Manchmal ist unentscheidbar, wer wem zu Füßen liegt. Man besitzt keine Tiere. Nie hätte Wagner einen Hund käuflich erworben. Hätte der riesige Robber nicht darauf bestanden, seinen Herrn zu begleiten, hätte Wagner die Kutsche genommen. So musste er den Ostseeschoner von Pillau nach London besteigen. Ohne die beschwerliche Schiffsreise auf der Thetis kein Fliegender Holländer. Und Peps – wie alle Wagnerhunde – hochmusikalisch, gibt die Tonart vom Siegfried-Idyll vor: „Bei E-Dur spannte sich jede Faser seines kleinen Körpers, bei Es-Dur wedelte er etwas schläfrig mit dem Schwanz.“ Alles, was Wagner komponierte, spielte und sang er dem Zwergspaniel vor. Mit feinsinniger, diskreter Ironie lässt Kerstin Decker Wagners treue Weggefährten zu Wort kommen. Sie folgt ihren Spuren und dem, was sie zwischen Tür und Angel, am Kamin, unter Tischen, an Orchestergräben wahrgenommen haben könnten. Wenn Tiere nicht nur hören, sondern lesen und sprechen, steht das Abendland auf dem Spiel. Von Aristoteles über Descartes bis Kant besteht die Wesensbestimmung des Menschen als das zôon logon echon oder animal rationale darin, den Menschen dem gesamten Rest der Gattung Tier entgegenzusetzen. Zum einen gilt es, dem Menschen alles Animalische auszutreiben, zum anderen dem Tier ex negativo alles abzusprechen, was dem Menschen eigen ist: Sprache, Vernunft, Trauer, Kunstverstand etc. Erst Schopenhauer wendet sich gegen diesen Hochmut. Nietzsche bekennt in seinem Anti-Wagner: „Da ist ein Musiker, der mehr als irgend ein Musiker seine Meisterschaft darin hat, die Töne aus dem Reich leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch dem stummen Elend Sprache zu geben.“

Wagners letzter Begleiter, ein Neufundländer, hört auf den Namen Russ. Sieben Jahre nach seinem Tod „erklingt im Karfreitagszauber des Parsifal das Lied von der Einheit der Schöpfung: Jeder kann hören, dass in den Thieren das Gleiche athmet was uns das Leben gibt.“

Auf einmalig fachkundige und amüsante Weise widerlegt Kerstin Decker das Vorurteil der Biographen, dass es sich bei den verlässlichsten Zeitzeugen eines Menschen um Menschen handeln müsse. (Wagners) Hunde sind die besseren Menschenkenner.

Kerstin Decker: Richard Wagner. Mit den Augen seiner Hunde betrachtet. 196 S., Berenberg-Verlag, Frühjahr 2013, 22 Euro.

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