James Joyce : Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

James Joyce : Ein Porträt des Künstlers als junger Mann


Wer bis jetzt sich an Joyce noch nicht herangetraut, den Ulysses so manches Mal voller unglaubwürdig-guter Vorsätze in den Urlaub mitgeschleppt und dann ungelesen wieder nach Hause gebracht hat oder wer sich allenfalls nur noch vage daran erinnern kann, wie die ein oder andere Geschichte aus den Dubliner im Englischunterricht der Oberstufe mit dem Erläuterungsband oder einer Kopie des Artikels aus Kindlers Literaturlexikon unter der Bank studienrätlich zerhackt wurde, dem sei jetzt dringend ans Herz gelegt zu Friedhelm Rathjens wunderbarer Neuübersetzung von A Porträt of the Artist as a Young Man zu greifen und Stephen Dedalus zu begleiten auf seinem Weg der Befreiung aus elterlicher, pädagogischer, moralischer, nationalpolitischer Bevormundungund „spirituelle(m) Terror“. Indem Stephen seiner vermeintlichen Berufung zum Priesteramt entsagt, sich entschließt, seinen Glauben und sein Seelenheil aufzugeben, auf Endlichkeit und Einsamkeit statt auf verklärt-gemeinschaftliche Ewigkeit zu setzen und dem gleichermaßen gedemütigtem wie glorifizierten Irland („die alte Sau, die ihre Ferkel frisst“) den Rücken zu kehren, bringt er im so paradoxen wie unwahrscheinlichen Akt der Selbstgeburt erst eigentlich sich selbst zur Welt. Denn: „Geboren wird die Seele, sagte er (Stephen) vage, erst in jenen Augenblicken, von denen ich Dir erzählt hab. Wenn die Seele eines Menschen in diesem Land geboren wird, dann werden Netze nach ihr ausgeworfen, um sie daran zu hindern, zu entfliegen. Du erzählst mir was von Nationalität, Sprache, Religion. Ich werde versuchen, an diesen Netzen vorbeizufliegen“. Ob dem Helden dies gelingt, muss offen bleiben. Wie sollte ein solches Gelingen auch aussehen, dessen Bedingung es ja ist, allem Gelingen zu entsagen? Wer sich aber diesem wilden, sanften, schroffen Text aussetzt, der hat Gelegenheit, mehr als 100 Jahre nach seiner Entstehung der radikalen Geburt dessen beizuwohnen, was wir in der Alltagssprache immer noch Subjektivität nennen. Dem wird es noch lange nach Beendigung der Lektüre äußerst schwer fallen, sich wieder heimisch zu fühlen im post-postmodernen Diskurs über sogenannte soziale Netzwerke, über Banken- und Finanzkrisen, Betreuungs- und sonstige Gelder. Der wird sich sehr fremd fühlen in der schönen neuen Welt der als Piraten getarnten Spießer und Schnäppchenjäger. Dem wird wieder „flau im Herzen, wenn einem an der Stelle überhaupt flau sein konnte“. Der wird den Ulysses als etwas lang geratenen Spaziergang durch eine etwas dröge irische Hauptstadt erleben. Der wird am Ende vielleicht froh sein, so lange auf Joyce gewartet zu haben.

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