Andreas Maier: Die Straße

Andreas Maier: Die Straße


Wir gestehen, dass wir voller Ungeduld auf den dritten Teil der insgesamt auf sieben (andere Quellen melden die Zahl 11, was uns nur recht sein soll) Bände ausgelegten Maierschen Suche nach der verlorenen Zeit gewartet haben. Nach „Das Zimmer“ und „Das Haus“ nun also „Die Straße“. Maier arbeitet sich von innen nach außen vor, was die Vermutung erlaubt, dass der vierte Band den Titel „Die Stadt“ trägt. Womit wir in Friedberg, inmitten der Wetterau sind, die Andreas Maier längst zu seinem literarischen Kosmos erhoben hat. Wir begleiten den jungen Andreas durch die späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre und lassen uns berichten von Vätern, die nicht anders können als die Freundinnen ihrer Töchter auf den Schoß zu nehmen, dabei in Kauf nehmend, dass ihre Frauen auf Jahre und Jahrzehnte ihr Misstrauen und ihre schlechte Laune nicht mehr loswerden. Wir erleben eine bürgerwehrhaft-dilettantische Jagd auf einen vermeintlichen Exhibitionisten, die zum Glück abgebrochen wird bevor jemand zu Schaden kommt. Wir erfahren die Hilflosigkeit von Eltern, denen kein Mittel einfällt, ihre Töchter von den in Friedberg stationierten GIs fernzuhalten. Wir erinnern uns verstört daran, dass auch wir keinen rechten Begriff davon hatten, was es mit dem von der „Bravo“ permanent beschworenen „Petting“ eigentlich auf sich haben sollte, und stimmen der Vermutung des Erzählers zu, dass „Petting“ eine Erfindung der „Bravo“, gleichsam ein performativer Sprechakt ist. Und wir begegnen den Friedberger „Altstadtmännern“ – schlecht riechenden älteren Herren, die in der Friedberger Altstadt junge „Buben“ (und amerikanische Austauschschüler) in ihre „Hexenhäuser“ locken, um sie zu missbrauchen. Das Friedberg der frühen Achtziger erscheint als ein ebenso vertrauter wie unheimlicher, ja obsessiver Ort (in jedem Kinderzimmer hängt ein Bravo-Starschnitt, vor dem jedoch Horden von Mädchen nichts anderes zu tun haben als alle erdenklichen Gegenstände in alle erdenklichen Körperöffnungen zu stecken) voller unterschwelliger und nur mühsam unterdrückter bzw. im Halb-Verborgenen sich auslebender Gewalt. Keine Spur von romantischem Frühlingserwachen. Je vermeintlich naiver und unmittelbarer der Erzähler sich erinnernd berichtet, desto spürbarer wird das Bedrohliche dieses Ortes. Wir ahnen, dass das Maiersche Erinnerungsprojekt einer tieferen und vielleicht dunkleren Obsession geschuldet ist als nur dem Wunsch eine verlorene Welt und Zeit zu retten und die hessische Provinz literarisch zu nobilitieren. Wir gestehen, dass wir einfach so hätten weiterlesen können und voller Ungeduld auf die Fortsetzung warten.

Andreas Maier: „Die Straße“. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 194 S., geb., 17,95 €.

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