Alex Capus : Skidoo

Alex Capus : Skidoo


Bodie, die Goldgräber-Geisterstadt im Nordosten Kaliforniens hinter den verschneiten Bergspitzen der Sierra Nevada war einst Schauplatz prunkvoller Beerdigungen dort lebender Chinesen, Betreiber in Zeiten des Goldrauschs unverzichtbarer Dienstleistungsangebote wie Wäschereien, Restaurants und Opiumhöhlen, die ihren Verstorbenen allerlei Speisen ins Grab legten: Frühlingsrollen, Kanton-Reis und süßsaure Entenbrust. Was wiederum die Paiute-Indianer dazu motivierte, sich rasch profunde ethnographische Kenntnisse der chinesischen Bestattungsrituale anzueignen, um an diese Köstlichkeiten zu gelangen. In Panamint City am Westrand des Death Valley machte der Bierbrauer Louis Munzinger sich um 1870 daran, den Durst der Schürfer mit deutschem Bier zu löschen. Einiges spricht dafür, dass dieser Louis Munzinger dem Geschlecht der Munzinger entstammt, das in Capus’ Heimatstadt Olten seit über 500 Jahren stark vertreten ist. Skidoo, 25 Meilen nördlich des Surprise Canyons, irgendwann im Frühjahr 1908: Joe „Hootch“ Simpson verlangt mitten in der Nacht am Schalter der Southern California Bank 20 Dollar, um sich weiter besaufen zu können. Dabei tötet er den Bankbeamten Jim Arnold und endet kurz darauf am Galgen. Unsinnigerweise. Denn es stellt sich heraus, dass „Hootch“ Simpson über ein beachtliches Vermögen von 25.000 Dollar verfügt hat. Die Bürger von Skidoo suchen per Annonce in der New York Times die Witwe, der das Vermögen des von ihnen Gelynchten zusteht. Salt Wells, einer der heißesten Orte im Norden des Death Valley ist 1874 Schauplatz eines tödlich endenden Selbstversuchs eines gewissen Jonathan Newhouse, Erfinder einer aus fingerdicken Badeschwämmen zusammengeflickten „Rüstung“ inklusive eingebauter Bewässerung. Die Verdunstung des Wassers bewirkte eine solche Oberflächeverdunstung, dass Jonathan Newhouse in der mörderischen Hitze tot und steif gefroren mit einem Eiszapfen an der Nasenspitze aufgefunden wurde. Hawiku, Arizona: Die Hopi-Indianer drehen Francisco Vásquez de Coronado, der 1540 im Auftrag des Vizekönigs von Mexico City aufgebrochen war, um einen sagenumwobenen Goldschatz zu finden, eine Nase und verschaffen sich für weitere zweihundertfünfzig Jahre Ruhe vor weiteren Invasoren. Und schließlich Flagstaff. Capus begegnet auf der Route 66 Tausenden von Motorradfahrern, die augenscheinlich im „richtigen Leben“ keine Easy Rider sind, „sondern Fliesenleger, Architekten und Wirtschaftsprüfer“, und die deshalb erst recht nicht wissen, dass die Route 66 ein alter Kamelpfad ist. Am 2. März 1855 bewilligte der Kongress der Vereinigten Staaten Amerikas einen Kredit von 30.000 Dollar „zwecks Einführung eines neues Tiers im Herzen unseres Kontinents“. Lieutenant David Dixon Porter und Major Henry C. Wayne landen am 4. August desselben Jahres in Tunis und müssen schmerzhaft erfahren, dass gesunde Kamele damals im ganzen Mittelmeerraum schwer zu finden waren. Erst in Alexandria und Smyrna wird es ihnen gelingen, 33 Kamele und fünf osmanische Kameltreiber an Bord zu holen und nach Texas zu verschiffen.
Überflüssige Informationen über sechs Orte, in denen kein Mensch mehr lebt? Genau! Und gerade deshalb köstlich!
ALEX CAPUS: Skidoo. Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens, Hanser Verlag, 80 Seiten, 12.00 EUR

 

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