Arno Geiger : Das glückliche Geheimnis

Arno Geiger : Das glückliche Geheimnis


Da dreht nicht irgendeiner seine Runden und wühlt im Müll, vorzugsweise im Altpapier oder Sperrmüll, sondern kein Geringerer als Arno Geiger. Der Ich-Erzähler gibt Auskunft über seine frühen Jahre, die Angst vor der Gefahr, wenn man nichts anderes als Schriftsteller werden will. Alles steht auf dem Spiel; ein Spiel, dessen Regeln nicht eindeutig sind und das für den Verlierer eine besondere Strafe bereithält: «echtes Scheitern». Bis zum Schluss oszilliert seine Müllsammelei zwischen Schaffensdrang, Zwang und Passion. Er stößt mitunter auf wertvolle Bücher, Briefmarkensammlungen, Postkarten, Comics, historische Wertpapiere, Plakate, die er auf dem Flohmarkt verkauft. Mit dem Erlös bestreitet der Jungautor seinen Lebensunterhalt. Dass er gelegentlich auch schmutzige Windeln, Essensreste, skelettierte Pferdeköpfe, Briefkonvolute, Fotoalben und Tagebücher aufstöbert, wundert nicht. Dass er dabei den Sachen («de profundis») auf den Grund zu gehen meint, weil er öfter in die Papiercontainer steigt und ganz unten wühlt, bleibt eine Behauptung. Er behauptet, dass er sich schämt, dass er auf der sozialen Schiene ganz unten gelandet sei, wie einer, der sein Ansehen verloren habe. Aber wann denn genau? Wie denn? Was stellt er mit dem Archiv, das er anlegt, an? Wie genau finden die Tagebücher und Briefkonvolute Eingang in seinen «kreativen Schaffensprozess»? Das würde der Leser gerne erfahren.
Müll ist ein gewaltiges Thema. Der Mensch ist, was er wegwirft. Mit gleichem Recht könnte man auch die Behauptung aufstellen: Der Mensch ist, was er isst, nachdem man seinen Stuhlgang untersucht hat. In diesem Buch wird immer nur behauptet, angerissen, kaum etwas erzählt. Das ist schade. Es ist schade, wenn Geiger über andere vielschreibende Kollegen herzieht, die seiner Meinung nichts mehr zu sagen haben, weil sie nur am Schreibtisch sitzen und «kahle Wände» hinauf und hinunter gehen. Was will er damit sagen? Sollten sie etwa (wie er) häufiger an die frische Luft gehen?
Es ist schade, um nicht zu sagen: flapsig, wenn das letztes Kapitel mit den Worten anhebt:
«Ich schreibe ein letztes Kapitel. Anschließend wird das von mir Geschriebene als Buch gedruckt, und es wäre zu wünschen, dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.»
Ein paar Fundstücke, ein bisschen Beziehungskiste, a bisserl Seneca, a bisserl Flaubert…egal, was ich schreibe, es wird ja sowieso ohne Murren gedruckt, weil ich der Autor Arno Geiger bin. Ja, es stimmt, das Müll-Geheimnis ist nun ausgeplaudert, aber nicht gelüftet. Schämen Sie sich, Herr Geiger, aber erzählen Sie uns bitte WIE.

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis. Hanser Verlag, München 2023 240 Seiten, 25.00 EUR

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