Günter Grass : Was bereist werden muss. Iranische Skizzen

Günter Grass : Was bereist werden muss. Iranische Skizzen


Diesen fast jugendlich-frisch daherkommenden und von unmittelbarer und unvoreingenommener Anschauung und Erfahrung gesättigten Reiseaufzeichnungen merkt man kaum an, mit welchen Widerständen der 84jährige Nobelpreisträger gerungen haben muss, bevor er auf persönliche Einladung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad die Iran-Air Maschine von Hamburg nach Teheran besteigt. Drei Bedingungen hat der Autor seinen Gastgebern vor Antritt seiner mehrwöchigen Reise gestellt: Inspektion der unterirdischen Atomanlagen in Fordo und Natanz, Rotwein sowie Zeit zum Malen, worauf sich – man staune – sogar Chefunterhändler Dschalili eingelassen hat. Schon beim Verlassen der Gangway („Herzlicher Empfang – ohne Fehl und Tadel“) spürt der Dichter, dass der Jubel der aufgereihten Schulklassen echt ist. Er sieht die bunten Fähnchen flattern, darunter auch einige SPD-Wimpel. Im Reiche der Mullahs ist sympathischerweise nicht alles perfekt. Nüchtern berichtet Grass, dass er, als Ahmadinedschad ihm die Hand küssen will, dies mit den Worten abwehrt: „Ich komme nicht als zwölfter Imam, sondern als kritischer Freund.“ Anschließend fährt man in gepanzerter Mercedes-Limousine an die Universität Teheran, wo dem Dichter nach Verlesung seines (leicht gekürzten) Gedichtes die Ehrendoktorwürde verliehen wird. Teheran, Isfahan, Ghom, Shiraz, Persepolis und Mashad sind die weiteren Stationen seiner Rundreise. Eindringliche Landschaftsbeschreibungen wechseln mit kritischen Bemerkungen zu den sozialen Verwerfungen, die das westliche Embargo verursacht. Grass‘ Begabung, komplexe soziale und politische Sachverhalte in verständlicher Form auf den Punkt zu bringen, erweist sich auch hier. Seine Kenntnis der persischen Lyrik eröffnet ihm Zugang zu den Herzen der Mullahs. Und dem Leser erschließt sich die wahre Bedeutung des Ausdrucks „Maulheld“ beim abendlichen Wettrezitieren aus dem West-Östlichen-Diwan. Grass zeigt Größe, wenn er zugibt, hier nur zweiter Sieger zu sein. Bewundernd stellt Grass die 7000-jährige Kulturgeschichte Persiens in den Vordergrund, lobt die Pistazien, den Tee, den gedämpften Reis und die hinter schwarzen Schleiern aufblitzende Schönheit persischer Mädchen. In Fordo und Natanz erkundigt sich Grass mit verblüffender Sachkenntnis nach den Sicherheitsvorkehrungen, den Zentrifugen und Anreicherungsprozessen, und improvisiert – als sein Dolmetscher überfordert ist – auf Englisch. „Es gibt keinen Anhaltspunkt“, so stellt Grass klar, „dass diese Anlagen nicht friedlich genutzt werden können.“ Der Leser wird sich an den zahlreichen Aquarellskizzen („Wüstenei“, „Uran“, „Oase mit Pfau“, „Moschee“, Kran mit Schlaufenseilen), die die Elemente persischer Miniaturmalerei gekonnt aufgreifen, erfreuen und dieses Land mit anderen Augen sehen.

Günter Grass, Was bereist werden muss. Iranische Skizzen. 180 S. mit Aquarellen, Selbstverlag, 29,80 € (erscheint voraussichtlich Herbst 2012) 

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