Undine Ohnesorg : Gauloise toujours – Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben.

Undine Ohnesorg : Gauloise toujours – Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben.


Eine der losen Maximen von Lesarten lautet: keine Verrisse. Die libertären Thesen jedoch, die uns hier um die Ohren knallen, können nicht unkommentiert stehen bleiben. Ein kurzer Blick auf die Autorenvita lässt erahnen, von welcher Warte zu uns gesprochen wird: „Undine Ohnesorg, Jahrgang 1973, lebt als freischaffende Künstlerin und Schriftstellerin abwechselnd in Aix en Provence und Berlin.“ Die ersten drei flotten Kapitel wollen uns die Insuffizienz unserer Arbeitswelt vor Augen führen. Schlecht belüftete Arbeitsplätze, mies beleuchtete Großraumbüros, Mobbing und Burnout, Kantinenfraß und Bewegungsmangel. Gleit- und Teilzeitmodelle, so lesen wir, kaschieren nur den „Dauerbeschuss“, unter dem unser Biorhythmus steht und leidet. Den sonnigen Befreiungsschlag hält Ohnesorg im vierten Kapitel prompt parat: Aussteigen, Kreativzonen schaffen, Gauloise rauchen, riskanter leben.
Sicher freut es den geneigten Leser, dass die Autorin eine kräftige Lunge und keine finanziellen Sorgen hat. Wahrscheinlich darf sie sich zur glücklichen Generation von Erben zählen, die unser Land zunehmend schmücken. Doch aus welcher Mottenkiste kramt Frau Neunmalklug eigentlich ihre Anschauungen vom Angestelltendasein? Müssen sich erwerbstätige Leser, die einer geregelten Arbeit nachgehen und das gerne tun, von Ohnesorgs kruder „Topologie der Stelle“ (S. 87) tatsächlich Stillstand vorwerfen lassen? Was ist daran verwerflich, eine feste Stelle zu haben? Sind wir alle nur angepflockte Herdentiere, die nichts von Kunst verstehen, nur weil wir ein regelmäßiges Einkommen haben? Zur Klarstellung: Frau Ohnesorg hat keine Ahnung, wie fruchtbar es ist, sich mit Kollegen austauschen zu können. Es kann verdammt schön sein, nicht allein, sondern Seite an Seite in der Kantine zwei Frikadellen mit Bechamelsoße und gedünstetem Kohlrabigemüse zu essen. Der Linseneintopf in unserer Kantine ist sehr lecker. Auf jeder Etage hängen anerkannte Kunstwerke. Auf jeder Etage stehen angenehme Raucherräume zur Verfügung. Eine feste Stelle haben, heißt einen Ort in der Gemeinschaft schaffender Individuen einnehmen. Deswegen treten wir noch lange nicht auf der Stelle, sondern kommen voran. Unsere Tage tragen Überschriften und sind strukturiert. Dann kann man sich auch viel mehr auf den Feierabend und aufs Wochenende freuen. Das Büro ist außerdem kein spaßfreier Raum. Nicht alle sind grau in grau mit Ringen unter den Augen. Auch hier laufen bunte Hunde und lustige Vögel herum. Richtig, wir sind Angestellte, einige in Teilzeit, einige auch nur befrisitet. Fest einbetoniert ist keiner von uns. Einem jeden steht es frei zu gehen, wann und wohin er will. Möge Ohnesorg als Freelancerin in ständigem Selbstsein herumstochern, doch verschone sie uns mit ihren verdießlichen Lebensweisheiten. Denn an wen wird sich die Kunstschaffende wenden, wenn das elterliche Erbe verjubelt, Elterngeld und Apanage ausgeschöpft sind? Wer bitteschön finanziert denn Ohnesorgs Künstlersozialkasse? Altersvorsorge ist Bringschuld und im Zeichen demographischen Wandels längst keine Privatsache mehr. Es mag vielleicht amüsant sein, unsere Vornamen, Radiosender, Meetings, Blackberrys, Flipcharts und Powerpointpräsentationen durch den Kakao zu ziehen und Filterkaffee und Frikadellen madig zu machen. Aber das Leben ist kein Wanderzirkus.
Undine Ohnesorg : Gauloise toujours – Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben. 178 S., broschiert, 2012 Edition Lavendel, 29,80 Euro

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