David Szalay : Was nicht gesagt werden kann

Verlag

Man kann sich dem Sog dieses Romans (Originaltitel «Flesh»), der seinen Leser durch den Fleischwolf dreht, um ihn ebenso ratlos wie zermürbt, einsam und berauscht zurückzulassen, kaum entziehen. In Was nicht gesagt werden kann (welch glücklich gewählter Titel!) arbeitet sich David Szalay an der betäubenden Fremdheit des Lebens regelrecht ab. Der Roman erzählt das Leben von István, den wir als einsamen sprachlosen Teenager kennenlernen und bis ins desillusionierte Mannesalter begleiten.

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Arno Geiger : Das glückliche Geheimnis

Verlag

Da dreht nicht irgendeiner seine Runden und wühlt im Müll, vorzugsweise im Altpapier oder Sperrmüll, sondern kein Geringerer als Arno Geiger. Der Ich-Erzähler gibt Auskunft über seine frühen Jahre, die Angst vor der Gefahr, wenn man nichts anderes als Schriftsteller werden will. […]

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Per Petterson : Männer in meiner Lage

Verlag

„Wie misst man Trauer, gibt es einen Zollstock für Trauer, gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen der Trauer um eine Person im Vergleich zur Trauer um zwei oder drei Personen oder sogar vier, wie in meinem Fall, fand das alles auf einem Metermaß Platz, oder ließ sich die Stärke mit einem Instrument einfangen, zum Beispiel einem Geigerzähler (…).“

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Karl Ove Knausgård : Im Herbst

Verlag

Pünktlich zur Jahreszeit fallen uns Karl Ove Knausgårds goldene Herbstblätter in die Hand. Im Herbst heißt der erste von vier Jahreszeitenbänden, der nach seinem sechsbändigen autobiographischen Romanprojekt in der deutschen Übersetzung von Paul Berf nun vorliegt. Jeder Monat hebt mit einem Brief […]

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Kader Abdolah : Die Krähe

Verlag

Und dann passiert Folgendes: Die Königin fährt vor. Sie trägt einen auffälligen Hut. Mit einem Strauß bunter Tulpen nähert sie sich meinem Haus. Ich stehe mit meiner Frau und Tochter vor der Tür und neige den Kopf zum Gruß. Ihre Majestät drückt mir den Blumenstrauß in die Hand und sagt: „Ich habe Ihr Buch gelesen.“

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Grace Paley : Am selben Tag, später

Verlag

Wir danken dem Verlag für einen weiteren Band mit Erzählungen von Grace Paley und möchten unsere Empfehlung für diese Autorin, die wir schon für Ungeheure Veränderungen in letzter Minute aussprachen, wiederholen. In den vorliegenden 17 Erzählungen treffen wir Faith (immer noch „Rechthaberin […]

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Peter Bichsel : Über das Wetter reden

Verlag

„Sprache braucht man zum Sprechen. Er braucht sein Italienisch zum Sprechen und ich mein Deutsch – wir verstehen die Sprache des Anderen nicht, aber wir reden miteinander, wir verstehen uns. Wir können über das Wetter reden, darüber daß es heiß ist, in allen Sprachen dieser Welt, wir könnten dabei mit dem Handrücken über die nasse Stirn fahren und jeder in seiner Sprache reden. ‚Es gibt nur eine Sprache’ hat der große jüdische Philosoph Franz Rosenzweig gesagt. Ja, nur eine Sprache, die Sprache der Menschen.“

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Julian Barnes : Lebensstufen

Verlag

„Man bringt zwei Menschen zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden. Manchmal ist das wie jener erste Versuch, einen Wasserstoffballon an einen Heißluftballon zu koppeln: Man hat die Wahl zwischen abstürzen und verbrennen oder verbrennen und abstürzen. Aber manchmal funktioniert es, und etwas Neues entsteht, und die Welt hat sich verändert. Dann wird irgendwann, früher oder später, aus dem einen oder anderen Grund, einer von beiden weggenommen. Und was weggenommen wurde, ist größer als die Summe dessen, was vorher da gewesen war. Mathematisch mag das nicht möglich sein, aber emotional ist es möglich.“

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Mercè Rodoreda : Der Garten über dem Meer

Verlag

„Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwa, weil ich neugierig wäre… Eher, weil ich Menschen mag, und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr. Aber das ist alles schon so lange her, dass ich mich an vieles nicht mehr erinnere, ich bin zu alt und bringe manchmal die Dinge durcheinander, ohne es zu wollen… Wenn sie mit ihren Freunden zur Sommerfrische kamen, konnte ich mir die Filme im Excelsior sparen. Einer malte das Meer. Feliu Roca hieß er…Er hatte das Meer auf alle möglichen Arten gemalt: ruhig und aufgewühlt, mit großen Wellen, mit kleinen Wellen. Grün, in der Farbe der Angst. Und grau, in der Farbe der Wolken. Seestücke.“

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Michel Houellebecq : Unterwerfung

Verlag

Wir haben lange gezögert uns mit den – zweifellos sehr bescheidenen – uns zur Verfügung stehenden Mitteln an der Debatte über den neuen Roman Michel Houellebecqs zu beteiligen. Wir tun dies nun dennoch, da wir glauben, dass der bisherige Verlauf der Debatte […]

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Vladimir Nabokov : Vorlesungen über westeuropäische Literatur

Verlag

“Literature was not born the day when a boy crying „wolf, wolf“ came running out of the Neanderthal valley with a big gray wolf at his heels; literature was born on the day when a boy came crying „wolf, wolf“ and there was no wolf behind him. That the poor little fellow because he lied too often was finally eaten up by a real beast is quite incidental. But here is what is important. Between the wolf in the tall grass and the wolf in the tall story there is a shimmering go-between. That go-between, that prism, is the art of literature.”

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Wolfgang Büscher : Ein Frühling in Jerusalem

Verlag

Und das war es, das ganze Geheimnis, ich begriff es in diesem Moment an der Ecke Al Wad Street/Via Dolorosa – die hohe Kunst des Aneinandervorbeigehens, die schöne Jerusalemer Ignoranz. Während Amerika und Europa der Utopie der Verschmelzung nachhingen, bewies sie vor meinen Augen ihre friedensstiftende Macht. Ein Frieden freilich, so sicher wie ein randvolles Glas Milch in der Hand eines dreijährigen Kindes. Das Glas konnte jederzeit springen, der gespannte Frieden jederzeit detonieren.

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Patrick Modiano erhält den Literaturnobelpreis

Verlag

„Im Mittelpunkt steht nicht mein persönliches Ich. Dieses ist eher wie eine Leerstelle, ein Probemuster, das in unterschiedliche Situationen und Atmosphären getaucht wird, um zu beobachten, wie sie sich dabei verfärben. Auf diese komplexen Verfärbungsprozesse, wo die halb fiktiven, halb realen Personen abwechselnd aufleuchten und verblassen, kommt es an. Dabei habe ich festgestellt, dass das Rätselhafte sich natürlich nicht auflöst, sondern neben dem Schreiben herläuft und mich von Buch zu Buch weiter verfolgt.“

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Botho Strauß : Herkunft

Verlag

„Du blickst in deine Frühe wie in die blaue Kugel des Magiers, betrachtest ein abgetrenntes, umschlossenes Weltlein. Es ist nicht alles organisch, nicht alles Folge und Auffächerung, Fortschritt und Wachstum, was sich Leben nennt. Es bilden sich auch Kristalle: die sammeln und bündeln Strahlen und sind beständiger als Zeitspuren. Möchtest du wirklich in die Kugel hinein, möchtest Du noch einmal im Einst-Weltlein leben? Ja, würde ich rufen, sofort! Aber nur so, daß ich es nie wieder verlassen müßte und mir sämtliche erworbene Erfahrung und Entwicklung gelöscht würde. Also nur, wenn verstummt das Gurgeln des nachfragenden, des wiederkäuenden, des erinnernd eiternden Lebens – wo doch des Menschen ganze Natur danach strebt, wie vordem zu sein, also: frei von Erinnerung!“

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Karl Ove Knausgård : Leben

Verlag

„Dann schlenderte ich zum Bus, rauchte eine letzte Zigarette, stellte die Koffer in den Gepäckraum, bezahlte den Fahrer und bat ihn, mir Bescheid zu geben, wenn wir nach Håfjord kamen. Ich ging nach hinten und setzte mich auf die linke Seite direkt vor die hinterste Bank, dies war mein bevorzugter Platz, solange ich denken konnte.
Schräg vor mir auf der anderen Seite des Mittelgangs saß ein hübsches blondes Mädchen, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, auf dem Sitz neben ihr stand ein Rucksack; ich vermutete, dass sie in Finnsnes aufs Gymnasium ging und nun auf dem Heimweg war. Sie hatte mich angesehen, als ich einstieg, und als der Fahrer den Gang einlegte und der Bus rumpelnd vom Halteplatz fuhr, drehte sie sich um und sah mich noch einmal an. Nicht lange, nur ganz kurz, ihr Blick streifte mich kaum, aber lange genug, dass ich einen Ständer bekam.“

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Karen Köhler : Wir haben Raketen geangelt

Verlag

„Die Seebestattung war fürn Po. Gemeinsam hätten wir uns schief gelacht über Deine kotzende Mutter und den leiernden Pastor an Bord. Aber ich stand alleine da und dachte, wie banal alles ist. Mir war elend, weil ich meinte, irgendetwas Feierliches müsste geschehen. Plumps machte die Urne und mein Mund wurde schief.“

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Robert Seethaler : Ein ganzes Leben

Verlag

„Wie alle Menschen hatte auch er während seines Lebens Vorstellungen und Träume in sich getragen. Manches davon hatte er sich selbst erfüllt, manches war ihm geschenkt worden. Vieles war unerreichbar geblieben oder war ihm, kaum erreicht, wieder aus den Händen gerissen worden. Aber er war immer noch da. Und wenn er in den Tagen nach der ersten Schneeschmelze morgens über die taunasse Wiese vor seiner Hütte ging und sich auf einen der verstreuten Flachfelsen legte, in seinem Rücken den kühlen Stein und im Gesicht die ersten warmen Sonnenstrahlen, dann hatte er das Gefühl, dass vieles doch gar nicht so schlecht gelaufen war.“

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Urs Faes : Sommer in Brandenburg

Verlag

Der Schweizer Autor Urs Faes eröffnet uns in seinem jüngsten Roman Sommer in Brandenburg ein bislang nahezu unbekanntes und wenig erforschtes Stück jüdischer Geschichte in Deutschland. Schauplatz des Romans ist das Landgut Ahrensdorf in der Nähe von Trebbin, das bis in den […]

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Tomas Espedal : Wider die Natur

Verlag

„Er ist achtundvierzig Jahre alt, er wirkt älter(…)Er mag von Einsamkeit oder zu vielen Genüssen verwüstet sein, was genau in seinem Gesicht wohnt, lässt sich nicht sagen, aber das Verwüstete macht ihn schön; sie fand gleich, er hat ein verwüstetes und schönes Gesicht. Wenn sie ihn ansieht,(…)spürt sie nichts als Angst. Vielleicht will sie ihn einfach als Liebhaber. Vielleicht will sie sich in etwas Gefährliches, Bedrohliches hinauswerfen, das sie von Grund auf verändert.“

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Henry James : Washington Square

Verlag

„In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, genauer gesagt, gegen Ende dieser Zeitspanne, praktizierte in der Stadt New York höchst erfolgreich ein Arzt, der sich wohl in besonderem Maße jener Anerkennung erfreute, die in den Vereinigten Staaten schon immer herausragenden Mitgliedern der medizinischen Zunft entgegengebracht wurde. Dieser Berufsstand war in Amerika stets in Ehren gehalten worden und hatte sich erfolgreicher als anderswo den Anspruch auf die Bezeichnung «liberal» erworben.“

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Paul Auster : Winterjournal

Verlag

“The ring of the old telephones, the clacking of typewriters, milk in bottles, baseball without designated hitters, vinyl records, galoshes, stockings and garter belts, black-and-white movies, heavyweight champions, (…) paperback books for thirty-five cents, the political left, Jewish dairy restaurants, double features, basketball before the three-point shot, palatial movie houses, nondigital cameras, toaster that lasted for thirty years, contempt for authority, Nash Ramblers, and wood-paneled station wagons. But there is nothing you miss more than the world as it was before smoking was banned in public places.”

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Gertrud Leutenegger : Panischer Frühling

Verlag

„In einem pakistanischen Esslokal, in das ich von der Straße her hineinschaute, sah ich in einem kleinen Fernseher, seit kurzem auf einem Mikrowellenherd direkt unter der niedrigen Decke postiert, den Vulkan weiter mit Wucht Asche ausspeien. Die Sprecherin verhaspelte sich beim Namen des Vulkans, Eyjafjallajökull, eja, eja, das alte Krippenlied fiel mir ein, eja eja, ein Kindelein, das hab‘ ich auserkoren, sein eigen will ich sein, und wie meine Mutter mit Leidenschaft ausrief, nein, das habe sie nie verstanden, diesen grausamen Kindermord von Bethlehem!“

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Elias Canetti : Das Buch gegen den Tod

Verlag

„Alle versäumten Leben. Alle die nicht geliebt wurden, Alle die nicht lieben konnten. Alle die kein Kind bewachen durften. Alle die nicht in den Ländern waren. Alle die die Vielfalt der Tiere nicht kannten. Alle die nie unter fremden Sprachen horchten. Alle die nicht über Gläubigkeiten staunten. Alle die sich nicht mit dem Tod herumschlugen. (…) Alle die sich nie arm schenkten. Alle die sich nie betrügen ließen, und alle, die es vergaßen, wie sehr sie betrogen wurden. Alle die ihrer Überheblichkeit nicht den Kopf abschlugen, alle die nicht aus Weisheit lächelten. Alle die nicht aus Großmut lachten. Alle versäumten Leben.“ (280)

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Marie-Luise Scherer : Unter jeder Lampe gab es Tanz

Verlag

„Man rät mir zu mehr Unbedenklichkeit. Einfach losschreiben. Feinheiten später! Kunst erst beim vierten oder fünften Durchgang! (..) Ich blättere in den gepriesenen Büchern. Die Lockerheit der Meister ist bedrohlich, wie hingeschlenkert mörtellos gefügte Sätze. Einmal ließ ich mich ermuntern durch den Kapitelanfang eines vielleicht nicht allzu großen Meisters. Er lautete: ‚Singapur, 12 Uhr 30 Ortszeit, mir steckt der Flug noch in den Knochen.'“

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Michail Ryklin : Buch über Anna

Verlag

Was wissen wir wirklich über die Menschen, die uns nahestehen und die wir lieben? Der russische Philosoph Michail Ryklin (dessen ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch Mit dem Recht des Stärkeren. Russische Kultur in Zeiten der „gelenkten Demokratie“ an dieser Stelle ebenfalls sehr empfohlen sei) stellt sich und uns diese Frage in seinem Buch über Anna. Seine Frau, die Lyrikern Anna Altschuk, verlässt am Karfreitag 2008 die gemeinsame Berliner Wohnung und kehrt nicht zurück.

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Toni Morrison : Heimkehr

Verlag

Man mag versucht sein, Toni Morrisons Roman „Heimkehr“ angesichts des hohen Alters der Autorin mit der Erwartung zu lesen, es handle sich um ein sogenanntes Alterswerk. Weit gefehlt. Es sei denn, damit sei gemeint, ohne jeden Ballast, schnörkellos und leicht von der unendlichen Schwere des Lebens zu erzählen – was diesem Roman auf wunderbare Weise gelingt. Frank Money kehrt traumatisiert aus dem Koreakrieg zurück. Er hat seine beiden besten Freunde dort sterben gesehen und selbst getötet. Eingewiesen in eine psychiatrische Anstalt erreicht ihn die Nachricht, dass seine Schwester Cee in tödlicher Gefahr schwebt. Frank flieht und schlägt sich nach Atlanta durch, um seine Schwester zu retten, die das Opfer eines weißen Arztes geworden ist, der sie für medizinische Experimente missbraucht

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Grace Paley: Ungeheure Veränderungen in letzter Minute

Verlag

Nach Die kleinen Widrigkeiten des Lebens liegt mit Ungeheure Veränderungen in letzter Minute nun ein weiterer Band mit Erzählungen von Grace Paley vor, den wir an dieser Stelle sehr empfehlen wollen. Zumeist raubt einem schon der erste Satz den Atem und bildet in höchster Verdichtung und zugleich mit unvergleichlicher Leichtigkeit oder Lässigkeit (ja Schnoddrigkeit) eine Geschichte für sich. Gewissermaßen im Zeitraffer präsentiert uns schon der erste Satz der ersten Erzählung Wünsche ein ganzes Leben inklusive das Scheitern einer Ehe: „Erst war an dem Freitag mein Vater krank, dann hatte ich dienstagsabends immer die Versammlungen, dann fing der Krieg an.“

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Katja Petrowskaja : Vielleicht Esther

Verlag

Es gibt Bücher, denen man mit einer Kurzbesprechung nicht zu nahe treten, aus denen man vorlesen, aber nichts zerreden möchte. Wer jedoch würde diese hehre Absicht bemerken? Wer würde registrieren, dass es unter der Lawine zu oft besprochener Bücher zarte Einschlüsse gibt, denen man anerkennend schweigend einen Dienst erweisen wollte? Katja Petrowskajas Roman ist ein solches Buch. Es ist eine Annäherung an ihre jüdische Herkunft und die Geschichte ihrer Familie. Es ist die ebenso exemplarische wie einzigartige Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden und ihrer Diaspora.

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Rafael Chirbes : Am Ufer

Verlag

Kann man über „die Finanzkrise“ schreiben? So, dass daraus Literatur entsteht und nicht eine in literarisch notdürftig veranschaulichte Dokumentation oder Reportage? Ohne dass der Text an der Komplexität und Trivialität der den Globus umspannenden Kapitalströme zerschellt? Ohne nur die Sinndefizite erfolgreicher Spekulanten zu entlarven oder die Hohlheit ihrer austauschbaren Lebensentwürfe zu desavouieren?

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Navid Kermani : Große Liebe

Verlag

Ein persisches Sprichwort behauptet: Alle Vorwände gelten der Liebe. Navid Kermani, der sich rückblickend an seine erste große Liebe und an den 15-jährigen erinnert, der er war, liefert den schönsten aller Vorwände für die Erzählung seiner Geschichte: Dass die erste große, und niemals größere Liebe in dem Wunsch gegründet sei, sich loszuwerden und nicht ich zu sein. Erst später, wenn man sich gefunden zu haben glaubt, wenn Ichsucht an die Stelle von Ichverlust getreten ist, mögen einem die Tagebücher des Pubertierenden womöglich banal erscheinen, treiben einem das großspurige Pathos, die Tollheiten Schamesröte ins Gesicht.

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Wolfgang Herrndorf : Arbeit und Struktur

Verlag

Als Wolfgang Herrndorf Im März 2010 erfährt, dass ein bösartiger Tumor in seinem Kopf wächst und ihm noch fünf Lebensmonate bleiben, beginnt er einen Wettlauf gegen die Zeit. Er stürzt sich in Arbeit, schreibt „dreimal so schnell“ und täglich bis zu sechzehn Stunden. Es werden knapp drei Jahre, die er nachfolgend als die „besten seines Lebens“ bezeichnen wird. Während er unter Hochdruck den Roman Tschick fertigstellt und einen neuen Roman Sand in Angriff nimmt, stellen ihm seine Freunde – zunächst ein privates, später dann öffentlich zugängliches Tagebuch-Blog ins Netz, in dem Herrndorf …seine Rückschläge, seine Träume und Hoffnungen notiert.

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John Cheever : Ach, dieses Paradies

Verlag

Unser Dank gilt zunächst dem Verlag, der uns in den letzten Jahren das erzählerische Werk John Cheevers in neuer Übersetzung wieder zugänglich gemacht hat. Der vorliegende Roman ist Cheevers letzter – 1982 im Jahr seines Todes erschienen – und zugleich sein merkwürdigster. Vordergründig geht es um den Kampf eines älteren Mannes aus New York – Lemuel Sears – für den Erhalt eines Teichs, des Beasley’s Pond in Janice, Upstate New York, auf dem er gerne Schlittschuh läuft. Diesen Teich (oder besser: diesen kleinen See) will eine mafiöse Allianz aus Lokalpolitik und anonym bleibenden Hintermännern zu einer Giftmülldeponie umfunktionieren.

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Michael Maar: Heute bedeckt und kühl.

Verlag

Warum werden Tagebücher geschrieben? Warum lesen wir sie? Und warum sollte man auch noch ein Sekundärbuch über Tagebücher lesen? Nun, die Leser seien an dieser Stelle gleich dreifach gewarnt: Das Buch von Michael Maar liefert keine abschließenden Antworten, man kann es nicht mehr aus der Hand legen, und die Folgekosten sind unabsehbar.

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Jorge Semprun : Überlebensübungen

Verlag

Der vorliegende Text ist Fragment geblieben. Jorge Semprun erinnert sich in ihm an seine Zeit in der Résistance bis zu seiner Verhaftung im September 1943. An die Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald. An die 10 Jahre (die er nicht ohne Stolz und Genugtuung als „eine Art Höchstleistung oder Rekord“ bezeichnet) in Madrid, die er unentdeckt im Untergrund überlebte. Er erinnert sich an die 20 Jahre seines Lebens, die im Rückblick als Überlebensübungen erscheinen. An die allgegenwärtige Gefahr, entdeckt und verhaftet zu werden, an den Triumph der Befreiung, und an die Folter, die die schwerste aller Überlebensübungen darstellte.

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Peter Kurzeck ist tot.

Verlag

Peter Kurzeck,einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren, ist so plötzlich und unerwartet gestorben, dass es uns die Sprache verschlägt. Das Hinschmecken der Worte, seine Klangfarben, das vermeintliche Mäandern aus- und abschweifender, vom Hundersten ins Tausendste kommenden Sätze, beinah rastlos, das Abenteuer der Stille, sein Sich-in-allerkleinsten-Nebenarmen-verlieren-Können

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Paul Nizon : Die Belagerung der Welt

Verlag

„Und was die Forelle anbelangt, so handelt es sich natürlich um Odile, die Geliebte, die mir immer entwischt ist, nie zu halten war, nicht zu bergen, nur in totem Zustand zu besitzen. Und was das Fell betrifft, so entspricht dieses Bild meinem Verlangen sie einzuhüllen, zu beschützen, zu wärmen und zu pflegen – zu domestizieren? War das der Fehler? Kann man eine Forelle heiraten?“

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Claude Simon: Archipel / Nord. Kleine Schriften und Photographien

Verlag

Claude Simon hat sich selbst gerne als bricoleur, als Handwerker oder Bastler bezeichnet. Die in dem vorliegenden Band versammelten Prosatexte erlauben es uns, ihm in seiner Werkstatt posthum bei der Arbeit zuzusehen. Brigitte Burmester verweist in ihrem klugen und erhellenden Vorwort ausdrücklich darauf, dass alle Texte Simons den „Blick und das Sehen“ dergestalt favorisieren, dass man sein Schreiben nicht ohne Grund als eine Art „Photographie ohne Apparat“ bezeichnet hat. Claude Simon selbst schreibt in seinem Vorwort zur 1992 von ihm veröffentlichten Auswahl seiner Fotos (Photographies (1937-1970)), welches in dem vorliegenden Band unter dem Titel „Photographie und Literatur“ aufgenommen wurde

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Louis Begley : Erinnerungen an eine Ehe

Verlag

Wir befinden uns in New York im Jahr 2003. George W. Bush hat gerade verkündet, dass die Mission im Irak erfüllt sei. Eine Vermeintlichkeit, der im neuen Roman von Louis Begley noch viele folgen werden. Der Ich-Erzähler Philip – ein siebzigjähriger Schriftsteller, seit kurzem wieder in New York – geht ins New York State Theater, um sich eine Aufführung der New York City Ballet Compagnie anzusehen. Philip lebt allein, seine Tochter Agnes und seine Frau Bella sind tot. Von sich sagt (oder schreibt) er: „Und ich habe meine Erinnerungen. Dantes Vergil hat sich geirrt, als er ihm erklärte, kein Schmerz sei größer, als im Unglück an vergangene glückliche Zeiten zu denken.

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Amos Oz / Fania Oz-Salzberger: Juden und Worte

Verlag

Der Schriftsteller Amos Oz und seine Tochter, die Historikern Fania Oz-Salzberger (deren auch im Jüdischen Verlag erschienenes Buch Israelis in Berlin an dieser Stelle ebenfalls sehr empfohlen sei) stellen die Frage nach dem, was jüdische Identität und Kontinuität über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg ausmacht. Sie tun dies ausdrücklich als „nicht-religiöse Juden“, deren jüdische Identität sich nicht aus dem Glauben speist. Sie tun dies als „Atheisten der Bibel“ – in dem Bewusstsein, dass „wir Juden (…) dafür bekannt (sind), daß wir unmöglich etwas zustimmen können, was mit ‚wir Juden’ anfängt“. Der Titel dieses Buches ist also schon die Antwort.

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Bogumil Balkansky : Auf Neuseeland sind die Briten die Tschuschen

Verlag

Ein Glücksfall: Man öffnet den Umschlag, runzelt über Autorname und Titel die Stirn und legt es erstmal auf den Schuhschrank. Von dort aus wandert das Buch über verschiedene Vordringlichkeitsstapel auf den Schuldturm noch ungelesener, in Folie eingeschweißter Bücher. Nur durch den Umstand, dass an einem der folgenden Tage gerade nichts anderes greifbar und obenauf liegt, blättert man in den ersten Seiten, und – es haut einen um. Zum Teufel: Wer steckt hinter dem Pseudonym Balkansky? Und warum kenne ich diesen Autor nicht?

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Barbara Wiedemann : „Ein Faible für Tübingen“. Paul Celan in Württemberg.

Verlag

Weit gefehlt, wer hinter diesem Buchtitel einen gemütlich-literarischen Spaziergang durch die schwäbische Provinz vermutet. Was die Literaturwissenschaftlerin und Celan-Forscherin Barbara Wiedemann aufschlägt, ist ein ebenso wichtiges wie beschämendes Kapitel der sogenannten literarischen und akademischen Öffentlichkeit im Umgang mit dem Lyriker Paul Celan. Celan, dessen gesamte Familie von den Nazis ermordet wurde, flüchtete 1948 nach Paris und unternahm zwischen den Jahren 1952 und 1970 viele Reisen vor allem in den Südwesten Deutschlands.

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Peter Handke : Versuch über den Pilznarren

Verlag

Nach vier ebenso disparaten wie geglückten Versuchen, die uns Peter Handke in den letzten Jahren geschenkt hat, mag dieser jüngste, fünfte Versuch über den Pilznarren auch bei den waldkundigsten Leser streckenweise die Frage aufwerfen: Worauf will er eigentlich hinaus? Wird dieser Versuch misslingen? Handke erzählt von sich und von einem aus den Augen verlorenen Jugendfreund, der, einst die Kärntner Wälder durchstreifend, sein Taschengeld mit Pilzesammeln aufbesserte, um sich davon Bücher zu kaufen. Er heiratet und macht als Jurist für Völkerrecht am internationalen Gerichtshof Karriere.

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Andreas Maier: Die Straße

Verlag

Wir gestehen, dass wir voller Ungeduld auf den dritten Teil der insgesamt auf sieben (andere Quellen melden die Zahl 11, was uns nur recht sein soll) Bände ausgelegten Maierschen Suche nach der verlorenen Zeit gewartet haben. Nach „Das Zimmer“ und „Das Haus“ nun also „Die Straße“. Maier arbeitet sich von innen nach außen vor, was die Vermutung erlaubt, dass der vierte Band den Titel „Die Stadt“ trägt. Womit wir in Friedberg, inmitten der Wetterau sind, die Andreas Maier längst zu seinem literarischen Kosmos erhoben hat. Wir begleiten den jungen Andreas durch die späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre und lassen uns berichten von Vätern, die nicht anders können als die Freundinnen ihrer Töchter auf den Schoß zu nehmen

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Marcel Reich-Ranicki ist tot

Verlag

Heute starb in Frankfurt am Main im Alter von 93 Jahren Marcel Reich-Ranicki. Mit ihm verliert die literarische Welt einen ihrer bedeutendsten und streitbarsten Kritiker und Vermittler von Literatur. Wie kein anderer hat Ranicki mit Witz, mit Schärfe, mit Sinn für klare […]

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Amity Gaige : Schroders Schweigen

Verlag

Der erfahrene Leser glaubt, ihn könne nichts mehr erschüttern. Er wiegt sich im Glauben, alles sei schon einmal irgendwann, irgendwo durch irgendwen erzählt worden, alle menschlichen Irrtümer, Lügen und Tragödien, jedes Scheitern, jedes Versagen und jeder Schmerz seien schon zur Genüge beschrieben […]

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