„Die kalten Nächte der Kindheit“, der autobiographisch gefärbte Roman der türkischen Autorin Tezer Özlü, lasten wie ein Alp auf dem Gedächtnis der Lesenden.
Zunächst blickt eine namenlose Erzählerin durch das Prisma aufblitzender Kindheitsbilder, um sich in eine ungewisse Zukunft vorzuwagen. Zwischen ihren Lehrereltern gibt es keine Liebe.
Man kann sich dem Sog dieses Romans (Originaltitel «Flesh»), der seinen Leser durch den Fleischwolf dreht, um ihn ebenso ratlos wie zermürbt, einsam und berauscht zurückzulassen, kaum entziehen. In Was nicht gesagt werden kann (welch glücklich gewählter Titel!) arbeitet sich David Szalay an der betäubenden Fremdheit des Lebens regelrecht ab. Der Roman erzählt das Leben von István, den wir als einsamen sprachlosen Teenager kennenlernen und bis ins desillusionierte Mannesalter begleiten.
Da dreht nicht irgendeiner seine Runden und wühlt im Müll, vorzugsweise im Altpapier oder Sperrmüll, sondern kein Geringerer als Arno Geiger. Der Ich-Erzähler gibt Auskunft über seine frühen Jahre, die Angst vor der Gefahr, wenn man nichts anderes als Schriftsteller werden will. […]
Der Mann, der über Monate Adolf Eichmann verhört hat, 275 Stunden lang, war ein deutscher Jude. Sein Name war Avner Werner Less. Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 flieht er als 16jähriger nach Paris, heiratet zwei Jahre später eine ebenfalls geflohene Jüdin, […]
Mit Geschlecht III erscheint die lang erwartete, verschollen geglaubte Transkription eines Seminars, das Derrida von 1984 bis 1985 unter dem Titel «Philosophische Nationalität und philosophischer Nationalismus» gehalten hat. Ob Pandemie, die Gender-Debatten, der Gesetzesgrund von Rasse, idenditätspolitische Sprechverdikte – es gibt wohl kaum einen […]
«Und sie dreht sich doch!» Seit dieses Murmeln Galileo Galilei zugeschrieben wurde, wissen wir, dass wir nicht das Zentrum aller Dinge sind und dass die Erde sich um die Sonne und um ihre eigene Achse dreht. Aber haben wir auch eine Anschauung […]
„Wie misst man Trauer, gibt es einen Zollstock für Trauer, gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen der Trauer um eine Person im Vergleich zur Trauer um zwei oder drei Personen oder sogar vier, wie in meinem Fall, fand das alles auf einem Metermaß Platz, oder ließ sich die Stärke mit einem Instrument einfangen, zum Beispiel einem Geigerzähler (…).“
Pünktlich zur Jahreszeit fallen uns Karl Ove Knausgårds goldene Herbstblätter in die Hand. Im Herbst heißt der erste von vier Jahreszeitenbänden, der nach seinem sechsbändigen autobiographischen Romanprojekt in der deutschen Übersetzung von Paul Berf nun vorliegt. Jeder Monat hebt mit einem Brief […]
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Und dann passiert Folgendes: Die Königin fährt vor. Sie trägt einen auffälligen Hut. Mit einem Strauß bunter Tulpen nähert sie sich meinem Haus. Ich stehe mit meiner Frau und Tochter vor der Tür und neige den Kopf zum Gruß. Ihre Majestät drückt mir den Blumenstrauß in die Hand und sagt: „Ich habe Ihr Buch gelesen.“
„Man bringt zwei Menschen zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden. Manchmal ist das wie jener erste Versuch, einen Wasserstoffballon an einen Heißluftballon zu koppeln: Man hat die Wahl zwischen abstürzen und verbrennen oder verbrennen und abstürzen. Aber manchmal funktioniert es, und etwas Neues entsteht, und die Welt hat sich verändert. Dann wird irgendwann, früher oder später, aus dem einen oder anderen Grund, einer von beiden weggenommen. Und was weggenommen wurde, ist größer als die Summe dessen, was vorher da gewesen war. Mathematisch mag das nicht möglich sein, aber emotional ist es möglich.“
„Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwa, weil ich neugierig wäre… Eher, weil ich Menschen mag, und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr. Aber das ist alles schon so lange her, dass ich mich an vieles nicht mehr erinnere, ich bin zu alt und bringe manchmal die Dinge durcheinander, ohne es zu wollen… Wenn sie mit ihren Freunden zur Sommerfrische kamen, konnte ich mir die Filme im Excelsior sparen. Einer malte das Meer. Feliu Roca hieß er…Er hatte das Meer auf alle möglichen Arten gemalt: ruhig und aufgewühlt, mit großen Wellen, mit kleinen Wellen. Grün, in der Farbe der Angst. Und grau, in der Farbe der Wolken. Seestücke.“
“Literature was not born the day when a boy crying „wolf, wolf“ came running out of the Neanderthal valley with a big gray wolf at his heels; literature was born on the day when a boy came crying „wolf, wolf“ and there was no wolf behind him. That the poor little fellow because he lied too often was finally eaten up by a real beast is quite incidental. But here is what is important. Between the wolf in the tall grass and the wolf in the tall story there is a shimmering go-between. That go-between, that prism, is the art of literature.”
Und das war es, das ganze Geheimnis, ich begriff es in diesem Moment an der Ecke Al Wad Street/Via Dolorosa – die hohe Kunst des Aneinandervorbeigehens, die schöne Jerusalemer Ignoranz. Während Amerika und Europa der Utopie der Verschmelzung nachhingen, bewies sie vor meinen Augen ihre friedensstiftende Macht. Ein Frieden freilich, so sicher wie ein randvolles Glas Milch in der Hand eines dreijährigen Kindes. Das Glas konnte jederzeit springen, der gespannte Frieden jederzeit detonieren.
„Im Mittelpunkt steht nicht mein persönliches Ich. Dieses ist eher wie eine Leerstelle, ein Probemuster, das in unterschiedliche Situationen und Atmosphären getaucht wird, um zu beobachten, wie sie sich dabei verfärben. Auf diese komplexen Verfärbungsprozesse, wo die halb fiktiven, halb realen Personen abwechselnd aufleuchten und verblassen, kommt es an. Dabei habe ich festgestellt, dass das Rätselhafte sich natürlich nicht auflöst, sondern neben dem Schreiben herläuft und mich von Buch zu Buch weiter verfolgt.“
„Dann schlenderte ich zum Bus, rauchte eine letzte Zigarette, stellte die Koffer in den Gepäckraum, bezahlte den Fahrer und bat ihn, mir Bescheid zu geben, wenn wir nach Håfjord kamen. Ich ging nach hinten und setzte mich auf die linke Seite direkt vor die hinterste Bank, dies war mein bevorzugter Platz, solange ich denken konnte.
Schräg vor mir auf der anderen Seite des Mittelgangs saß ein hübsches blondes Mädchen, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, auf dem Sitz neben ihr stand ein Rucksack; ich vermutete, dass sie in Finnsnes aufs Gymnasium ging und nun auf dem Heimweg war. Sie hatte mich angesehen, als ich einstieg, und als der Fahrer den Gang einlegte und der Bus rumpelnd vom Halteplatz fuhr, drehte sie sich um und sah mich noch einmal an. Nicht lange, nur ganz kurz, ihr Blick streifte mich kaum, aber lange genug, dass ich einen Ständer bekam.“
„Er ist achtundvierzig Jahre alt, er wirkt älter(…)Er mag von Einsamkeit oder zu vielen Genüssen verwüstet sein, was genau in seinem Gesicht wohnt, lässt sich nicht sagen, aber das Verwüstete macht ihn schön; sie fand gleich, er hat ein verwüstetes und schönes Gesicht. Wenn sie ihn ansieht,(…)spürt sie nichts als Angst. Vielleicht will sie ihn einfach als Liebhaber. Vielleicht will sie sich in etwas Gefährliches, Bedrohliches hinauswerfen, das sie von Grund auf verändert.“
„In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, genauer gesagt, gegen Ende dieser Zeitspanne, praktizierte in der Stadt New York höchst erfolgreich ein Arzt, der sich wohl in besonderem Maße jener Anerkennung erfreute, die in den Vereinigten Staaten schon immer herausragenden Mitgliedern der medizinischen Zunft entgegengebracht wurde. Dieser Berufsstand war in Amerika stets in Ehren gehalten worden und hatte sich erfolgreicher als anderswo den Anspruch auf die Bezeichnung «liberal» erworben.“
“The ring of the old telephones, the clacking of typewriters, milk in bottles, baseball without designated hitters, vinyl records, galoshes, stockings and garter belts, black-and-white movies, heavyweight champions, (…) paperback books for thirty-five cents, the political left, Jewish dairy restaurants, double features, basketball before the three-point shot, palatial movie houses, nondigital cameras, toaster that lasted for thirty years, contempt for authority, Nash Ramblers, and wood-paneled station wagons. But there is nothing you miss more than the world as it was before smoking was banned in public places.”
„Man rät mir zu mehr Unbedenklichkeit. Einfach losschreiben. Feinheiten später! Kunst erst beim vierten oder fünften Durchgang! (..) Ich blättere in den gepriesenen Büchern. Die Lockerheit der Meister ist bedrohlich, wie hingeschlenkert mörtellos gefügte Sätze. Einmal ließ ich mich ermuntern durch den Kapitelanfang eines vielleicht nicht allzu großen Meisters. Er lautete: ‚Singapur, 12 Uhr 30 Ortszeit, mir steckt der Flug noch in den Knochen.'“
Es gibt Bücher, denen man mit einer Kurzbesprechung nicht zu nahe treten, aus denen man vorlesen, aber nichts zerreden möchte. Wer jedoch würde diese hehre Absicht bemerken? Wer würde registrieren, dass es unter der Lawine zu oft besprochener Bücher zarte Einschlüsse gibt, denen man anerkennend schweigend einen Dienst erweisen wollte? Katja Petrowskajas Roman ist ein solches Buch. Es ist eine Annäherung an ihre jüdische Herkunft und die Geschichte ihrer Familie. Es ist die ebenso exemplarische wie einzigartige Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden und ihrer Diaspora.
Ein persisches Sprichwort behauptet: Alle Vorwände gelten der Liebe. Navid Kermani, der sich rückblickend an seine erste große Liebe und an den 15-jährigen erinnert, der er war, liefert den schönsten aller Vorwände für die Erzählung seiner Geschichte: Dass die erste große, und niemals größere Liebe in dem Wunsch gegründet sei, sich loszuwerden und nicht ich zu sein. Erst später, wenn man sich gefunden zu haben glaubt, wenn Ichsucht an die Stelle von Ichverlust getreten ist, mögen einem die Tagebücher des Pubertierenden womöglich banal erscheinen, treiben einem das großspurige Pathos, die Tollheiten Schamesröte ins Gesicht.
Als Wolfgang Herrndorf Im März 2010 erfährt, dass ein bösartiger Tumor in seinem Kopf wächst und ihm noch fünf Lebensmonate bleiben, beginnt er einen Wettlauf gegen die Zeit. Er stürzt sich in Arbeit, schreibt „dreimal so schnell“ und täglich bis zu sechzehn Stunden. Es werden knapp drei Jahre, die er nachfolgend als die „besten seines Lebens“ bezeichnen wird. Während er unter Hochdruck den Roman Tschick fertigstellt und einen neuen Roman Sand in Angriff nimmt, stellen ihm seine Freunde – zunächst ein privates, später dann öffentlich zugängliches Tagebuch-Blog ins Netz, in dem Herrndorf …seine Rückschläge, seine Träume und Hoffnungen notiert.
Warum werden Tagebücher geschrieben? Warum lesen wir sie? Und warum sollte man auch noch ein Sekundärbuch über Tagebücher lesen? Nun, die Leser seien an dieser Stelle gleich dreifach gewarnt: Das Buch von Michael Maar liefert keine abschließenden Antworten, man kann es nicht mehr aus der Hand legen, und die Folgekosten sind unabsehbar.
Peter Kurzeck,einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren, ist so plötzlich und unerwartet gestorben, dass es uns die Sprache verschlägt. Das Hinschmecken der Worte, seine Klangfarben, das vermeintliche Mäandern aus- und abschweifender, vom Hundersten ins Tausendste kommenden Sätze, beinah rastlos, das Abenteuer der Stille, sein Sich-in-allerkleinsten-Nebenarmen-verlieren-Können
„Und was die Forelle anbelangt, so handelt es sich natürlich um Odile, die Geliebte, die mir immer entwischt ist, nie zu halten war, nicht zu bergen, nur in totem Zustand zu besitzen. Und was das Fell betrifft, so entspricht dieses Bild meinem Verlangen sie einzuhüllen, zu beschützen, zu wärmen und zu pflegen – zu domestizieren? War das der Fehler? Kann man eine Forelle heiraten?“
Ein Glücksfall: Man öffnet den Umschlag, runzelt über Autorname und Titel die Stirn und legt es erstmal auf den Schuhschrank. Von dort aus wandert das Buch über verschiedene Vordringlichkeitsstapel auf den Schuldturm noch ungelesener, in Folie eingeschweißter Bücher. Nur durch den Umstand, dass an einem der folgenden Tage gerade nichts anderes greifbar und obenauf liegt, blättert man in den ersten Seiten, und – es haut einen um. Zum Teufel: Wer steckt hinter dem Pseudonym Balkansky? Und warum kenne ich diesen Autor nicht?
Weit gefehlt, wer hinter diesem Buchtitel einen gemütlich-literarischen Spaziergang durch die schwäbische Provinz vermutet. Was die Literaturwissenschaftlerin und Celan-Forscherin Barbara Wiedemann aufschlägt, ist ein ebenso wichtiges wie beschämendes Kapitel der sogenannten literarischen und akademischen Öffentlichkeit im Umgang mit dem Lyriker Paul Celan. Celan, dessen gesamte Familie von den Nazis ermordet wurde, flüchtete 1948 nach Paris und unternahm zwischen den Jahren 1952 und 1970 viele Reisen vor allem in den Südwesten Deutschlands.
Nach vier ebenso disparaten wie geglückten Versuchen, die uns Peter Handke in den letzten Jahren geschenkt hat, mag dieser jüngste, fünfte Versuch über den Pilznarren auch bei den waldkundigsten Leser streckenweise die Frage aufwerfen: Worauf will er eigentlich hinaus? Wird dieser Versuch misslingen? Handke erzählt von sich und von einem aus den Augen verlorenen Jugendfreund, der, einst die Kärntner Wälder durchstreifend, sein Taschengeld mit Pilzesammeln aufbesserte, um sich davon Bücher zu kaufen. Er heiratet und macht als Jurist für Völkerrecht am internationalen Gerichtshof Karriere.
Heute starb in Frankfurt am Main im Alter von 93 Jahren Marcel Reich-Ranicki. Mit ihm verliert die literarische Welt einen ihrer bedeutendsten und streitbarsten Kritiker und Vermittler von Literatur. Wie kein anderer hat Ranicki mit Witz, mit Schärfe, mit Sinn für klare […]
Im Herz der Finsternis, an der schwach beleuchteten Strecke zwischen Pirna und Liebstadt, mitten im Wald und unweit der tschechischen Grenze gibt es einen Ort, an dem die Zeit noch stiller steht: die Schneckenmühle. Fraglich, ob es hier je eine Mühle gegeben […]
Die Leser seien gewarnt: Hier kommt der mit Abstand kälteste, beunruhigenste und schwärzeste Roman der Saison. Peter Stamm erzählt die Geschichte von Gillian und Hubert. Von Astrid, Rolf und Matthias. Bereits die Namen geben Anlass zur Sorge. Der Roman beginnt mitten drin: […]
Fürwahr – es gibt einen kleinen, leuchtenden Stern zu entdecken: „Im grünen Dunkel der Wälder ein heller Fleck, mit Straßen, mit Häusern, mit Stuben und mit Bodenkammern, und in einer träumend ich.“ Der Stern heißt Eulenrod und sein träumendes Ich, der Schriftsteller […]
Mit der vorliegenden Sammlung von Fragmenten und verstreuten Prosaarbeiten hat uns der müry salzmann Verlag ein funkelndes Kleinod des österreichichen Autors geschenkt. Keine Statements, keine folgerichtigen Einsichten oder Schon-immer-Gewusstheiten. Nein. Kappacher bleibt ein stiller, wunderbarer Außenseiter, ein Dichter auf Abwegen und Traumpfaden, […]
Der Erzähler im indischen Ellora. Ein Wort fliegt auf wie ein aufgescheuchtes Wild. Ein Wort von Ilse Aichinger, von den näher kommenden Spiegeln im Alter, „bis wir uns ganz nahe sind. Der nächste Schritt heißt dann: den Spiegel mit der Faust zertrümmern, […]
Wie eine Biographie über einen Philosophen bewerkstelligen, der das Eingeschriebene im Korpus des Denkenden, das Setzende und Verletzende der Schrift, die Bedingungen und Aporien der Lesbarkeit in allen Variationen dekliniert hat? Eine Biographie über Derrida á la Derrida? Schon wären Genre und […]
Man muss kein Wagnerianer sein, nicht mal ein Hundenarr, um das Buch von Kerstin Decker auf Anhieb zu lieben. Sogar als Hundehasser wird man bei der Lektüre nachdenklich und erwägt, ob man sein Verhältnis zu den Vierbeinern – insbesondere zu Neufundländern – […]
Die Geschichte ist so: Der angehende Literaturwissenschaftler Stéphan Charlier leidet unter einem Übervater, der als angesehener Literaturprofessor nicht müde wird, seinem Sohn zu attestieren, er habe „seinen Weg noch nicht gefunden“. Hals über Kopf wandert dieser nach Amerika aus, um dort über […]
Man könnte den neuen Genazino auch als das Ich-Buch seiner Frankfurter Jahre bezeichnen. Mit gewohnt ironischem Blick lässt der Büchner-Preisträger Erinnerungen an seine Zeit in der Satirezeitschrift Pardon, das jahrelange Pendeln zwischen Freiburg und Frankfurt Revue passieren. Er skizziert bekannte und unbekannte […]
Es steht zu befürchten, dass verlagsgeschichtliche Editionen dieser Art, einmal den Gesetzen des Marktes unterworfen, bald der Vergangenheit angehören. Der Briefwechsel zwischen Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und einem seiner nahestehendsten Autoren, Peter Handke, erscheint womöglich deshalb zur rechten Zeit. Am Leitfaden der in […]
Was mit einem formalen Zweizeiler beginnt, die Zwangsversetzung des jüdischen Rechtsassessors Kornitzer in den Vorruhestand, ist Auftakt einer Zerstörung, die zeigt, wie ein deutscher Jude systematisch am Wiederaufbau seiner eigenen Geschichte und Existenz gehindert wird. Das Leben der Familie Kornitzer wird von […]
Wenn Kafka zufolge ein Buch die Axt für das gefrorene Meer in uns zu sein hat, dann schlägt einem Gasdanows Romananfang mit voller Wucht zwischen die Augen: „Von allen meinen Erinnerungen, von all den unzähligen Empfindungen meines Lebens war die bedrückendste die […]
Wir befinden uns an der Schwelle zum ersten Weltkrieg im vorbolschewistischen Moskau. Es ist Winter. Wadim Maslennikow schämt sich seiner niederen Herkunft, hasst und verachtet seine Mutter, knöpft ihr die letzten Rubel ab, um auf nächtlichen Droschkenfahrten arme Mädchen zu verführen und […]
Briefe an den Meeresgott? Woher? Cees Nooteboom sitzt bei einem Glas Champagner in einem Fischrestaurant auf dem Viktualienmarkt, liest in den Tagebüchern von Sándor Márai und entdeckt auf einer blauen Serviette den Namen des Lokals: „Poseidon“. Ein grimmiger Gott mit Dreizack in […]
Unwiderstehlich galant und unwiderstehlich traurig. Das ist Emmanuel Bove. Seine Erzählungen, Novellen und Märchen arrangieren kunstvoll das Begegnen, Begehren und Verfehlen von Mann und Frau wie das von Text und Lesererwartung. In dieser Trias bewegen sich die (Erzähl-)Figuren wie Katz und Maus […]
„Der Sinn würde sich am Ende offenbaren, weil ein Sinn existiert. Deshalb ging ich jedesmal auf Reisen, immer weiter und weiter. Bis ans Ende des Kontinents, damit mir nichts anderes übrigbleibt, als umzukehren.“ Andrzej Stasiuk ist ein Herumtreiber, ein transsilvanischer Vagabund, ein […]
Geschichten sind der Stoff, aus dem Geschichte gemacht wird. Orhan Pamuk erzählt die Geschichte zu seinem im April 2012 eröffneten Museum, das seine eigene Geschichte erzählt, die wiederum aus einer unabschließbaren Verweiskette von Geschichten besteht. Die wunderbare Idee zu einem Roman, den […]
Wenn es wahr ist, dass jeder von jedem nur sechs Klicks entfernt ist, also jeder jeden über sechs Ecken irgendwie kennt. Wenn diese Wahrscheinlichkeit auch auf ihn statistisch zutrifft: „Wieso kann ich aus dem Abspann von vier, fünf, sechs Kurzfilmen keinen einzigen […]
Anfangs duften Henry James Geschichten nach Replik einer alten Welt. Nach englischem Teegebäck, serviert auf fein gewirkten Damastdecken mit gravierten Silberbestecken in Spiegelsalons jener fernen auf Zerstreuung bedachten angloamerikanischen Upperclass, deren Sorgen sich in der Wahl des nächsten europäischen Reiseziels oder des […]