Man kann sich dem Sog dieses Romans (Originaltitel «Flesh»), der seinen Leser durch den Fleischwolf dreht, um ihn ebenso ratlos wie zermürbt, einsam und berauscht zurückzulassen, kaum entziehen. In Was nicht gesagt werden kann (welch glücklich gewählter Titel!) arbeitet sich David Szalay an der betäubenden Fremdheit des Lebens regelrecht ab. Der Roman erzählt das Leben von István, den wir als einsamen sprachlosen Teenager kennenlernen und bis ins desillusionierte Mannesalter begleiten.
Da dreht nicht irgendeiner seine Runden und wühlt im Müll, vorzugsweise im Altpapier oder Sperrmüll, sondern kein Geringerer als Arno Geiger. Der Ich-Erzähler gibt Auskunft über seine frühen Jahre, die Angst vor der Gefahr, wenn man nichts anderes als Schriftsteller werden will. […]
„Wie misst man Trauer, gibt es einen Zollstock für Trauer, gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen der Trauer um eine Person im Vergleich zur Trauer um zwei oder drei Personen oder sogar vier, wie in meinem Fall, fand das alles auf einem Metermaß Platz, oder ließ sich die Stärke mit einem Instrument einfangen, zum Beispiel einem Geigerzähler (…).“
Pünktlich zur Jahreszeit fallen uns Karl Ove Knausgårds goldene Herbstblätter in die Hand. Im Herbst heißt der erste von vier Jahreszeitenbänden, der nach seinem sechsbändigen autobiographischen Romanprojekt in der deutschen Übersetzung von Paul Berf nun vorliegt. Jeder Monat hebt mit einem Brief […]
Und dann passiert Folgendes: Die Königin fährt vor. Sie trägt einen auffälligen Hut. Mit einem Strauß bunter Tulpen nähert sie sich meinem Haus. Ich stehe mit meiner Frau und Tochter vor der Tür und neige den Kopf zum Gruß. Ihre Majestät drückt mir den Blumenstrauß in die Hand und sagt: „Ich habe Ihr Buch gelesen.“
„Man bringt zwei Menschen zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden. Manchmal ist das wie jener erste Versuch, einen Wasserstoffballon an einen Heißluftballon zu koppeln: Man hat die Wahl zwischen abstürzen und verbrennen oder verbrennen und abstürzen. Aber manchmal funktioniert es, und etwas Neues entsteht, und die Welt hat sich verändert. Dann wird irgendwann, früher oder später, aus dem einen oder anderen Grund, einer von beiden weggenommen. Und was weggenommen wurde, ist größer als die Summe dessen, was vorher da gewesen war. Mathematisch mag das nicht möglich sein, aber emotional ist es möglich.“
„Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwa, weil ich neugierig wäre… Eher, weil ich Menschen mag, und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr. Aber das ist alles schon so lange her, dass ich mich an vieles nicht mehr erinnere, ich bin zu alt und bringe manchmal die Dinge durcheinander, ohne es zu wollen… Wenn sie mit ihren Freunden zur Sommerfrische kamen, konnte ich mir die Filme im Excelsior sparen. Einer malte das Meer. Feliu Roca hieß er…Er hatte das Meer auf alle möglichen Arten gemalt: ruhig und aufgewühlt, mit großen Wellen, mit kleinen Wellen. Grün, in der Farbe der Angst. Und grau, in der Farbe der Wolken. Seestücke.“
Wir haben lange gezögert uns mit den – zweifellos sehr bescheidenen – uns zur Verfügung stehenden Mitteln an der Debatte über den neuen Roman Michel Houellebecqs zu beteiligen. Wir tun dies nun dennoch, da wir glauben, dass der bisherige Verlauf der Debatte […]
Und das war es, das ganze Geheimnis, ich begriff es in diesem Moment an der Ecke Al Wad Street/Via Dolorosa – die hohe Kunst des Aneinandervorbeigehens, die schöne Jerusalemer Ignoranz. Während Amerika und Europa der Utopie der Verschmelzung nachhingen, bewies sie vor meinen Augen ihre friedensstiftende Macht. Ein Frieden freilich, so sicher wie ein randvolles Glas Milch in der Hand eines dreijährigen Kindes. Das Glas konnte jederzeit springen, der gespannte Frieden jederzeit detonieren.
„Im Mittelpunkt steht nicht mein persönliches Ich. Dieses ist eher wie eine Leerstelle, ein Probemuster, das in unterschiedliche Situationen und Atmosphären getaucht wird, um zu beobachten, wie sie sich dabei verfärben. Auf diese komplexen Verfärbungsprozesse, wo die halb fiktiven, halb realen Personen abwechselnd aufleuchten und verblassen, kommt es an. Dabei habe ich festgestellt, dass das Rätselhafte sich natürlich nicht auflöst, sondern neben dem Schreiben herläuft und mich von Buch zu Buch weiter verfolgt.“
„Dann schlenderte ich zum Bus, rauchte eine letzte Zigarette, stellte die Koffer in den Gepäckraum, bezahlte den Fahrer und bat ihn, mir Bescheid zu geben, wenn wir nach Håfjord kamen. Ich ging nach hinten und setzte mich auf die linke Seite direkt vor die hinterste Bank, dies war mein bevorzugter Platz, solange ich denken konnte.
Schräg vor mir auf der anderen Seite des Mittelgangs saß ein hübsches blondes Mädchen, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, auf dem Sitz neben ihr stand ein Rucksack; ich vermutete, dass sie in Finnsnes aufs Gymnasium ging und nun auf dem Heimweg war. Sie hatte mich angesehen, als ich einstieg, und als der Fahrer den Gang einlegte und der Bus rumpelnd vom Halteplatz fuhr, drehte sie sich um und sah mich noch einmal an. Nicht lange, nur ganz kurz, ihr Blick streifte mich kaum, aber lange genug, dass ich einen Ständer bekam.“
„Wie alle Menschen hatte auch er während seines Lebens Vorstellungen und Träume in sich getragen. Manches davon hatte er sich selbst erfüllt, manches war ihm geschenkt worden. Vieles war unerreichbar geblieben oder war ihm, kaum erreicht, wieder aus den Händen gerissen worden. Aber er war immer noch da. Und wenn er in den Tagen nach der ersten Schneeschmelze morgens über die taunasse Wiese vor seiner Hütte ging und sich auf einen der verstreuten Flachfelsen legte, in seinem Rücken den kühlen Stein und im Gesicht die ersten warmen Sonnenstrahlen, dann hatte er das Gefühl, dass vieles doch gar nicht so schlecht gelaufen war.“
Der Schweizer Autor Urs Faes eröffnet uns in seinem jüngsten Roman Sommer in Brandenburg ein bislang nahezu unbekanntes und wenig erforschtes Stück jüdischer Geschichte in Deutschland. Schauplatz des Romans ist das Landgut Ahrensdorf in der Nähe von Trebbin, das bis in den […]
„Er ist achtundvierzig Jahre alt, er wirkt älter(…)Er mag von Einsamkeit oder zu vielen Genüssen verwüstet sein, was genau in seinem Gesicht wohnt, lässt sich nicht sagen, aber das Verwüstete macht ihn schön; sie fand gleich, er hat ein verwüstetes und schönes Gesicht. Wenn sie ihn ansieht,(…)spürt sie nichts als Angst. Vielleicht will sie ihn einfach als Liebhaber. Vielleicht will sie sich in etwas Gefährliches, Bedrohliches hinauswerfen, das sie von Grund auf verändert.“
„In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, genauer gesagt, gegen Ende dieser Zeitspanne, praktizierte in der Stadt New York höchst erfolgreich ein Arzt, der sich wohl in besonderem Maße jener Anerkennung erfreute, die in den Vereinigten Staaten schon immer herausragenden Mitgliedern der medizinischen Zunft entgegengebracht wurde. Dieser Berufsstand war in Amerika stets in Ehren gehalten worden und hatte sich erfolgreicher als anderswo den Anspruch auf die Bezeichnung «liberal» erworben.“
„In einem pakistanischen Esslokal, in das ich von der Straße her hineinschaute, sah ich in einem kleinen Fernseher, seit kurzem auf einem Mikrowellenherd direkt unter der niedrigen Decke postiert, den Vulkan weiter mit Wucht Asche ausspeien. Die Sprecherin verhaspelte sich beim Namen des Vulkans, Eyjafjallajökull, eja, eja, das alte Krippenlied fiel mir ein, eja eja, ein Kindelein, das hab‘ ich auserkoren, sein eigen will ich sein, und wie meine Mutter mit Leidenschaft ausrief, nein, das habe sie nie verstanden, diesen grausamen Kindermord von Bethlehem!“
Was wissen wir wirklich über die Menschen, die uns nahestehen und die wir lieben? Der russische Philosoph Michail Ryklin (dessen ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch Mit dem Recht des Stärkeren. Russische Kultur in Zeiten der „gelenkten Demokratie“ an dieser Stelle ebenfalls sehr empfohlen sei) stellt sich und uns diese Frage in seinem Buch über Anna. Seine Frau, die Lyrikern Anna Altschuk, verlässt am Karfreitag 2008 die gemeinsame Berliner Wohnung und kehrt nicht zurück.
Man mag versucht sein, Toni Morrisons Roman „Heimkehr“ angesichts des hohen Alters der Autorin mit der Erwartung zu lesen, es handle sich um ein sogenanntes Alterswerk. Weit gefehlt. Es sei denn, damit sei gemeint, ohne jeden Ballast, schnörkellos und leicht von der unendlichen Schwere des Lebens zu erzählen – was diesem Roman auf wunderbare Weise gelingt. Frank Money kehrt traumatisiert aus dem Koreakrieg zurück. Er hat seine beiden besten Freunde dort sterben gesehen und selbst getötet. Eingewiesen in eine psychiatrische Anstalt erreicht ihn die Nachricht, dass seine Schwester Cee in tödlicher Gefahr schwebt. Frank flieht und schlägt sich nach Atlanta durch, um seine Schwester zu retten, die das Opfer eines weißen Arztes geworden ist, der sie für medizinische Experimente missbraucht
Es gibt Bücher, denen man mit einer Kurzbesprechung nicht zu nahe treten, aus denen man vorlesen, aber nichts zerreden möchte. Wer jedoch würde diese hehre Absicht bemerken? Wer würde registrieren, dass es unter der Lawine zu oft besprochener Bücher zarte Einschlüsse gibt, denen man anerkennend schweigend einen Dienst erweisen wollte? Katja Petrowskajas Roman ist ein solches Buch. Es ist eine Annäherung an ihre jüdische Herkunft und die Geschichte ihrer Familie. Es ist die ebenso exemplarische wie einzigartige Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden und ihrer Diaspora.
Kann man über „die Finanzkrise“ schreiben? So, dass daraus Literatur entsteht und nicht eine in literarisch notdürftig veranschaulichte Dokumentation oder Reportage? Ohne dass der Text an der Komplexität und Trivialität der den Globus umspannenden Kapitalströme zerschellt? Ohne nur die Sinndefizite erfolgreicher Spekulanten zu entlarven oder die Hohlheit ihrer austauschbaren Lebensentwürfe zu desavouieren?
Ein persisches Sprichwort behauptet: Alle Vorwände gelten der Liebe. Navid Kermani, der sich rückblickend an seine erste große Liebe und an den 15-jährigen erinnert, der er war, liefert den schönsten aller Vorwände für die Erzählung seiner Geschichte: Dass die erste große, und niemals größere Liebe in dem Wunsch gegründet sei, sich loszuwerden und nicht ich zu sein. Erst später, wenn man sich gefunden zu haben glaubt, wenn Ichsucht an die Stelle von Ichverlust getreten ist, mögen einem die Tagebücher des Pubertierenden womöglich banal erscheinen, treiben einem das großspurige Pathos, die Tollheiten Schamesröte ins Gesicht.
Unser Dank gilt zunächst dem Verlag, der uns in den letzten Jahren das erzählerische Werk John Cheevers in neuer Übersetzung wieder zugänglich gemacht hat. Der vorliegende Roman ist Cheevers letzter – 1982 im Jahr seines Todes erschienen – und zugleich sein merkwürdigster. Vordergründig geht es um den Kampf eines älteren Mannes aus New York – Lemuel Sears – für den Erhalt eines Teichs, des Beasley’s Pond in Janice, Upstate New York, auf dem er gerne Schlittschuh läuft. Diesen Teich (oder besser: diesen kleinen See) will eine mafiöse Allianz aus Lokalpolitik und anonym bleibenden Hintermännern zu einer Giftmülldeponie umfunktionieren.
Wir befinden uns in New York im Jahr 2003. George W. Bush hat gerade verkündet, dass die Mission im Irak erfüllt sei. Eine Vermeintlichkeit, der im neuen Roman von Louis Begley noch viele folgen werden. Der Ich-Erzähler Philip – ein siebzigjähriger Schriftsteller, seit kurzem wieder in New York – geht ins New York State Theater, um sich eine Aufführung der New York City Ballet Compagnie anzusehen. Philip lebt allein, seine Tochter Agnes und seine Frau Bella sind tot. Von sich sagt (oder schreibt) er: „Und ich habe meine Erinnerungen. Dantes Vergil hat sich geirrt, als er ihm erklärte, kein Schmerz sei größer, als im Unglück an vergangene glückliche Zeiten zu denken.
Nach vier ebenso disparaten wie geglückten Versuchen, die uns Peter Handke in den letzten Jahren geschenkt hat, mag dieser jüngste, fünfte Versuch über den Pilznarren auch bei den waldkundigsten Leser streckenweise die Frage aufwerfen: Worauf will er eigentlich hinaus? Wird dieser Versuch misslingen? Handke erzählt von sich und von einem aus den Augen verlorenen Jugendfreund, der, einst die Kärntner Wälder durchstreifend, sein Taschengeld mit Pilzesammeln aufbesserte, um sich davon Bücher zu kaufen. Er heiratet und macht als Jurist für Völkerrecht am internationalen Gerichtshof Karriere.
Wir gestehen, dass wir voller Ungeduld auf den dritten Teil der insgesamt auf sieben (andere Quellen melden die Zahl 11, was uns nur recht sein soll) Bände ausgelegten Maierschen Suche nach der verlorenen Zeit gewartet haben. Nach „Das Zimmer“ und „Das Haus“ nun also „Die Straße“. Maier arbeitet sich von innen nach außen vor, was die Vermutung erlaubt, dass der vierte Band den Titel „Die Stadt“ trägt. Womit wir in Friedberg, inmitten der Wetterau sind, die Andreas Maier längst zu seinem literarischen Kosmos erhoben hat. Wir begleiten den jungen Andreas durch die späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre und lassen uns berichten von Vätern, die nicht anders können als die Freundinnen ihrer Töchter auf den Schoß zu nehmen
Der erfahrene Leser glaubt, ihn könne nichts mehr erschüttern. Er wiegt sich im Glauben, alles sei schon einmal irgendwann, irgendwo durch irgendwen erzählt worden, alle menschlichen Irrtümer, Lügen und Tragödien, jedes Scheitern, jedes Versagen und jeder Schmerz seien schon zur Genüge beschrieben […]
Im Herz der Finsternis, an der schwach beleuchteten Strecke zwischen Pirna und Liebstadt, mitten im Wald und unweit der tschechischen Grenze gibt es einen Ort, an dem die Zeit noch stiller steht: die Schneckenmühle. Fraglich, ob es hier je eine Mühle gegeben […]
Die Leser seien gewarnt: Hier kommt der mit Abstand kälteste, beunruhigenste und schwärzeste Roman der Saison. Peter Stamm erzählt die Geschichte von Gillian und Hubert. Von Astrid, Rolf und Matthias. Bereits die Namen geben Anlass zur Sorge. Der Roman beginnt mitten drin: […]
Unsere Vergangenheit ist dunkle Materie. Der unsichtbare Teil unseres Lebens ist ungleich größer als der sichtbare. Das nicht Gelebte ist unendlich: „kurze Begegnungen, verpasste Rendezvous, verlorene Briefe, Vornamen und Telefonnummern, die in einem alten Taschenkalender stehen und die man vergessen hat, und […]
„Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war.“ Deshalb ist es auch unerheblich, wer da spricht, ob der Autor oder sein Erzähler. Jedenfalls: Der Ich-Erzähler erinnert sich. Wie er sich eines Morgens eingestehen musste, dass er den Versuch, einen […]
Ein junger Mann kehrt 2008, nachdem er acht Jahre in Deutschland gelebt hat, in seine argentinische Heimat zurück, da sein Vater schwer erkrankt ist. Durch exzessiven Konsum von Drogen hat er fast vollständig sein Gedächtnis verloren. Während sein Vater im Krankenhaus um […]
Dieses „Buch über einen Vater“ – so der Untertitel – beginnt mit dem Tod des Vaters und endet mit seiner Geburt. Weil der Sohn nicht weiß, wie er trauern und Abschied nehmen soll, fasst er den Entschluss, den Vater, der in seinen […]
Ein Buch wie ein Faustschlag ins Gesicht. Galen, 22 Jahre, lebt mit seiner Mutter auf einer Walnussplantage in Carmichael, einem Vorort von Sacramento, im Central Valley, Kalifornien, „einer langgestreckten, heißen Senke Stumpfsinn“. Galen möchte gerne aufs College. Angeblich ist dafür aber kein […]
Es gilt, ein literarisches Kleinod anzuzeigen. Dem Dörlemann Verlag sei gedankt, diesen 1945 erstmals erschienen Roman des heute weitgehend vergessenen französischen Autors Pierre Bost (1901-1975) dem deutschsprachigen Publikum wieder zugänglich gemacht zu haben. Wie der Titel des Romans es vermuten lässt, spielt […]
Die Geschichte ist so: Der angehende Literaturwissenschaftler Stéphan Charlier leidet unter einem Übervater, der als angesehener Literaturprofessor nicht müde wird, seinem Sohn zu attestieren, er habe „seinen Weg noch nicht gefunden“. Hals über Kopf wandert dieser nach Amerika aus, um dort über […]
Nach „Kurze Geschichte von der ewigen Liebe“ und „Eine beinahe alltägliche Geschichte“ liegt mit „Die Wolfsgrube“ – dem Rowohlt Berlin Verlag sei gedankt – nun ein weiterer Roman des erst kurz vor seinem Tod 2010 (wieder)entdeckten ungarischen Autors Szilárd Rubin vor. Vom […]
Was mit einem formalen Zweizeiler beginnt, die Zwangsversetzung des jüdischen Rechtsassessors Kornitzer in den Vorruhestand, ist Auftakt einer Zerstörung, die zeigt, wie ein deutscher Jude systematisch am Wiederaufbau seiner eigenen Geschichte und Existenz gehindert wird. Das Leben der Familie Kornitzer wird von […]
Wenn Kafka zufolge ein Buch die Axt für das gefrorene Meer in uns zu sein hat, dann schlägt einem Gasdanows Romananfang mit voller Wucht zwischen die Augen: „Von allen meinen Erinnerungen, von all den unzähligen Empfindungen meines Lebens war die bedrückendste die […]
Zunächst sei dem Verlag gedankt, dem das Verdienst gebührt, mit der Neuauflage von Ein Engel an meiner Tafel den zweiten Band der dreiteiligen Autobiografie der großartigen neuseeländischen Autorin Janet Frame (1924 – 2004) wieder zugänglich gemacht zu haben. Kann man ein solches […]
Wir befinden uns an der Schwelle zum ersten Weltkrieg im vorbolschewistischen Moskau. Es ist Winter. Wadim Maslennikow schämt sich seiner niederen Herkunft, hasst und verachtet seine Mutter, knöpft ihr die letzten Rubel ab, um auf nächtlichen Droschkenfahrten arme Mädchen zu verführen und […]
Die Geschichte einer Nacht. Die beiden Brüder Jacobo und Pablo sind auf dem Weg von New York nach Portland. Sie wollen dort einen Arzt treffen, der bereit ist, Jacobo Sterbehilfe zu leisten. Jacobo ist nach einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt und […]
Geschichten sind der Stoff, aus dem Geschichte gemacht wird. Orhan Pamuk erzählt die Geschichte zu seinem im April 2012 eröffneten Museum, das seine eigene Geschichte erzählt, die wiederum aus einer unabschließbaren Verweiskette von Geschichten besteht. Die wunderbare Idee zu einem Roman, den […]
Die Tat selbst erscheint unbegreiflich und banal. Einer kehrt auf dem Weg zum Tennisspiel noch einmal ins Haus zurück, um seinen Tennisschläger zu holen. Er steigt in den Keller und erschießt sich. Draußen wartet die Frau. Ein Comicband liegt aufgeschlagen auf dem […]
Bodie, die Goldgräber-Geisterstadt im Nordosten Kaliforniens hinter den verschneiten Bergspitzen der Sierra Nevada war einst Schauplatz prunkvoller Beerdigungen dort lebender Chinesen, Betreiber in Zeiten des Goldrauschs unverzichtbarer Dienstleistungsangebote wie Wäschereien, Restaurants und Opiumhöhlen, die ihren Verstorbenen allerlei Speisen ins Grab legten: Frühlingsrollen, […]
Great Falls, Montana 1960: Der 15-jährige Dell lebt zusammen mit seiner Zwillingsschwester Berner und seinen Eltern in der gesichtslosen Kleinstadt im Nordwesten der USA. Er freut sich auf die Schule, will endlich Mitglied des örtlichen Schachclubs werden und interessiert sich für Bienenzucht. […]
Thomes brilliant erzählter Entwicklungsroman bewegt sich vordergründig im verdrießlichen Milieu von verbeamteten grauen Universitätseminenzen, Ausschüssen und Berufungskomissionen, die mehrheitlich „den Poststrukturalismus als Epilog einer Verirrung“ ansehen und dessen Ausbreitung konziliant mit befristeten Juniorprofessuren abzirkeln. Am Ziel seiner akademischen Laufbahn angekommen, von der Studienreform […]
„Schloss Bellevue, sagte ich.“ Der erste Satz des Romans zeigt schon an, dass der Autor, der seinen Erzähler diesen Satz sprechen lässt, nicht gewillt ist Zeit zu verlieren oder große Umstände zu machen. Wenn sich zwei schon begegnen sollen, warum dann nicht […]
Wer Shirin Neshats Filmkunstwerk women without men bewundert hat, dem sei die gleichnamige Romanvorlage der iranischen Autorin Shahrnush Parsipur – in der ausgezeichneten Übersetzung von Jutta Himmelreich – dringend ans Herz gelegt. Immer ist es ja das Herz, das einen in den […]
Steht der Katzentisch (im Original: „The cat‘s table“) in den Speisesälen der feinen Gesellschaft für gewöhnlich außen vor und am Rande des vermuteten Hauptgeschehens, reserviert für die Kleinen, Unsichtbaren und weniger Betuchten, ist er an Bord der Oronsay, einem Passagierdampfer der Orientlinie, […]
Die Häuser der anderen – das ist die Illusion (oder Angst), woanders könnte das andere, bessere Leben stattfinden. Das sind die imaginären Lebens- und Projektionsräume, in denen anderen das gelingt, woran wir scheitern. Da ist Gaby, die sich und ihre halbwüchsige Tochter […]